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BGH: Kein Entgeltanspruch für Pflegeheimbetreiber bei vorzeitigem Heimwechsel

Ein Bewohner muss bei einem vorzeitigen Auszug aus dem Pflegeheim nach einer Eigenkündigung das vereinbarte Heimentgelt nur bis zum Tag des Auszugs zahlen, nicht bis zum Tag der Beendigung des Wohn- und Betreuungsvertrages.

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Der Bewohner eines Pflegeheims, der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezieht, muss nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4.10.2018 das vereinbarte Entgelt nicht an das Heim zahlen, wenn er nach einer Eigenkündigung vor Ablauf der Kündigungsfrist auszieht.

Zum Sachverhalt

Der an Multiple Sklerose erkrankte Kläger ist auf die Unterbringung in einem Pflegeheim angewiesen und bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Er verlangt von dem Beklagten, der ein Pflegeheim betreibt, Rückzahlung von Heimkosten.

Von Dezember 2013 bis zum 14. Februar 2015 war der Kläger in dem Pflegeheim des Beklagten untergebracht. Nach dem Wohn- und Betreuungsvertrag konnte der Bewohner das Vertragsverhältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen.

Ende Januar 2015 fand der Kläger einen Pflegeplatz in einem anderen, auf die Pflege von Multiple-Sklerose-Patienten spezialisierten Heim. Daraufhin kündigte er mit Schreiben vom 28.1.2015 den Wohn- und Betreuungsvertrag mit dem Beklagten zum 28.2.2015. Da in dem anderen Pflegeheim kurzfristig schon früher ein Platz frei wurde, zog der Kläger bereits am 14.2.2015 aus dem Heim des Beklagten aus und bezog am darauf folgenden Tag den neuen Pflegeplatz.

Der Beklagte stellte dem Kläger – nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse für die erste Februarhälfte 2015 – Heimkosten für den gesamten Monat Februar 2015 in Höhe von 1.493,03 Euro in Rechnung, die der Kläger zunächst vollständig bezahlte. Da für die zweite Februarhälfte 2015 infolge des Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten insoweit keine Sozialleistungen mehr erbracht wurden, verlangte der Kläger die Rückerstattung der bezahlten 1.493,03 Euro, was der Beklagte jedoch ablehnte.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlung des Heimentgelts sei für die zweite Februarhälfte 2015 ohne Rechtsgrund erfolgt, da mit seinem Auszug am 14.2.2015 seine Zahlungspflicht entsprechend dem Grundsatz der taggenauen Abrechnung gemäß § 87a I 2 SGB XI erloschen sei.

Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 1.493,03 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.

Die Entscheidung des BGH

Der III. Zivilsenat hat die Revision des Beklagten Im Wesentlichen zurückgewiesen. Das Rechtsmittel hat nur Erfolg, soweit die Klageforderung auf zwei Berechnungsfehlern beruht (insgesamt 362,63 Euro).

Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Der Beklagte hat das für die zweite Februarhälfte 2015 vereinnahmte Heimentgelt nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB zurückzuerstatten, da die Zahlungspflicht des Klägers mit dem Tag seines Auszugs am 14.2.2014 nach § 87a I 2 SGB XI iVm § 15 I WBVG endete.

§ 87a I 1 SGB XI, dem das Prinzip der tagesgleichen Vergütung zugrunde liegt, bestimmt, dass die im Begriff des Gesamtheimentgelts zusammengefassten Zahlungsansprüche der Einrichtung für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts taggenau berechnet werden. Danach besteht der Zahlungsanspruch des Heimträgers nur für die Tage, in denen sich der Pflegebedürftige tatsächlich im Heim aufhält (Berechnungstage). In Anwendung des Prinzips der Berechnung auf Tagesbasis ordnet § 87a I 2 SGB XI an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag endet, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt.

Nach seinem eindeutigen Wortlaut regelt § 87a I 2 SGB XI nicht allein die Zahlungspflicht des Kostenträgers, sondern erfasst ebenso die zivilrechtliche Vergütungspflicht des Heimbewohners. Es handelt sich um eine gegenüber den heimvertraglichen Bestimmungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes vorrangige Sonderregelung zugunsten von Heimbewohnern, die gleichzeitig Leistungsbezieher der Pflegeversicherung sind. Dieser Vorrang kommt darin zum Ausdruck, dass abweichende Vereinbarungen nichtig sind (§ 15 I 2 WBVG, § 87a I 4 4 SGB XI).

Die Systematik des § 87a I SGB XI sowie die Entstehungsgeschichte und der daraus ableitbare Zweck des Gesetzes sprechen dafür, dass ein „Entlassen“ iSd § 87a I 2 Alt. 1 SGB XI auch dann vorliegt, wenn der Pflegebedürftige – nach einer Kündigung des Heimvertragsverhältnisses – vor Ablauf der Kündigungsfrist des § 11 I 1 WBVG endgültig auszieht.

Dass der Begriff „Entlassen“ auch den Umzug beziehungsweise die Verlegung des Pflegebedürftigen in ein anderes Heim erfasst, erschließt sich aus der Regelung des § 87a Abs. 1 Satz 3 SGB XI. Darin wird klargestellt, dass die Zahlungspflicht des Heimbewohners gegenüber dem bisherigen Pflegeheim nicht für den Umzugs-/Verlegungstag besteht und insofern ein Heimentgelt nur durch die aufnehmende Pflegeeinrichtung berechnet werden darf. Damit bringt das Gesetz zugleich zum Ausdruck, dass für die restlichen Tage des Monats, in dem der Auszugs-/Verlegungstag liegt, kein Entgelt mehr an das bisherige Pflegeheim zu zahlen ist, und zwar unabhängig davon, ob der Heimbewohner, der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezieht, die Kündigungsfrist des § 11 I 1 WBVG einhält.

Der Regelung des § 87a I 5-7 SGB XI über die Vergütungspflicht des Bewohners bei vorübergehender Abwesenheit vom Heim ist zu entnehmen, dass ein Vergütungsanspruch der Einrichtung (gegebenenfalls unter Berücksichtigung ersparter Aufwendungen) voraussetzt, dass der Pflegebedürftige das Heim nur vorübergehend im Sinne des § 87a I 5 und 6 SGB XI verlässt (zB wegen eines Krankenhausaufenthalts) und deshalb einen gesetzlichen Anspruch auf Freihaltung seines Pflegeplatzes hat.

Die Entstehungsgeschichte der in § 87a I 1-3 SGB XI enthaltenen Regelungen und der Gesetzeszweck bestätigen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Zahlungspflicht des Heimbewohners mit dem Tag enden soll, an dem er die Pflegeeinrichtung endgültig verlässt, mag dies auch vor Ablauf einer Kündigungsfrist geschehen. § 87a I 2 SGB XI bezweckt den Schutz des Heimbewohners (bzw. seiner Erben) oder seines Kostenträgers vor der doppelten Inanspruchnahme für etwaige Leerstände nach dem Auszug (oder dem Tod) des Heimbewohners. Nach der üblichen Praxis der Heimträger werden die durch Leerstände verursachten Kosten im Rahmen der Auslastungskalkulation sowie durch gesonderte Wagnis- und Risikozuschläge in die Pflegesätze eingerechnet und anschließend anteilig auf die Heimbewohner umgelegt. Dies hat den Gesetzgeber veranlasst, den Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers bei Versterben oder bei einem Auszug des Heimbewohners auf den Tag der Beendigung der tatsächlichen Leistungserbringung zu begrenzen, weil ansonsten die Zeit des Leerstandes zulasten des Heimbewohners doppelt berücksichtigt würde.

Danach endete die Zahlungspflicht des Klägers mit dem Tag seines Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten am 14.2.2015. Als Empfänger von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung fällt er in den Anwendungsbereich des § 87a I SGB XI. Aus der Kündigung vom 28.1.2015 war für den Beklagten erkennbar, dass der Kläger das Pflegeheim endgültig verlassen wollte. Da der Beklagte nach dem Auszug des Klägers keine Leistungen mehr erbracht hat und auch nicht verpflichtet war, den Pflegeplatz freizuhalten, besteht insofern nach den Grundsätzen des § 87a I 1 und 2 SGB XI auch kein Vergütungsanspruch.

 

 

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