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BFH hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen auf Steuerforderungen

Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase hat der BFH Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der gesetzlichen Nachzahlungszinsen auf Steuernachforderungen in Höhe von 0,5 % für jeden vollen Monat

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Der Fall

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte in einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Zinsbescheides über die Frage zu entscheiden, ob die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO vorgesehene Verzinsung von Steuerforderungen in Höhe von 0,5 Prozent für jeden vollen Kalendermonat angesichts des anhaltenden niedrigen Zinsniveaus noch angemessen ist.

Antragsteller waren zusammenveranlagte Eheleute. Das Finanzamt hat nach einer durchgeführten Betriebsprüfung im November 2017 unter anderem einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 mit einer erheblichen Steuernachzahlung erlassen. Gleichzeitig hat es einen Zinsbescheid erlassen, mit dem es Zinsen in Höhe von 0,5 % für jeden vollen Monat auf die Steuernachzahlung festsetzte. Die Summe der festgesetzten Zinsen beträgt rund 241.000 Euro.

Die Antragsteller haben gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 und gegen den Zinsbescheid Einspruch eingelegt. Sie haben darüber hinaus die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Zinsbescheids zur Einkommensteuer für 2009 beantragt. Zur Begründung führten sie insbesondere aus, die Höhe der Zinsen nach § 238 AO von 0,5 % für jeden Monat sei verfassungswidrig. Schließlich hatte der BFH über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheides zu entscheiden.

Beschluss des BFH

Der BFH hat dem Antrag stattgegeben und die Aussetzung der Vollziehung des Zinsbescheides gewährt. Er begründet dies wie folgt:

Die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes ist zu gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel liegen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung des BFH vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids gewichtige Gründe zutage treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken.

Die angegriffene Zinshöhe in § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO begegnet durch ihre realitätsferne Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Übermaßverbot für den im Streitfall in Rede stehenden Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 nach Auffassung des BFH schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln.

Der BFH führt aus, dass der gesetzlich festgelegte Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO (0,5 % für jeden angefangenen Monat = 6 % p.a.) für den in Rede stehenden Zeitraum angesichts der zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße überschreitet. Das Niedrigzinsniveau stellt sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern ist struktureller und nachhaltiger Natur. Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe besteht bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht.

Für die Höhe des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt es schon an einer nachvollziehbaren Begründung.

Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens z.T. abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht "an sich" dem Steuergläubiger zusteht. Wegen der Niedrigzinsphase ist es nahezu ausgeschlossen, dass der Steuerzahler einen Nutzungsvorteil in Höhe der Zinsfestsetzung erzielen kann. Auch ein Zinsnachteil des Fiskus scheint aus selbem Grund als ausgeschlossen.

Es bestehen bei der gebotenen summarischen Prüfung überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Übermaßverbot entspricht. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein sanktionierender, rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung. Eine sachliche Rechtfertigung für die nicht realitätsgerechte Belastung besteht bei summarischer Prüfung nicht.

Fazit

In seinem Beschluss macht der BFH erstmalig Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Nachzahlungszinsen auf Steuerforderungen geltend.

In vergleichbaren Fällen ist nun abzuwägen, ob unter Hinweis auf diesen Beschluss des BFH Einspruch gegen den Zinsbescheid eingelegt werden und die gerichtliche Entscheidung im Hauptverfahren vor dem FG Köln und eventuell später vor dem BFH abgewartet werden soll.

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